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Carla Pohl

Ein Tag mit Tina Modotti

Heute
bin ich mit der Fotografin, Revolutionärin und Schauspielerin
TinaModotti verabredet,
denn bei einer solchen derzeitigen politischen Lage liegt es nahe
sich mit den Revolutionären zu beschäftigen. Doch was hat das mit
Fotografie zu tun? Fotografie gibt die Möglichkeit auf Dinge
aufmerksam zu machen, Wahrheiten zu zeigen – diese Wahrheiten sind
natürlich immer im Sinne des Betrachters bzw. des Fotografen – und
zuletzt ist die Fotografie ein Kommunikationsmittel.

Kennengelernt
– im übertragenem Sinne - habe ich Tina Modotti als ich zwanzig
Jahre war – über eine Romanbiographie. Tina Modotti
lebte ein Leben voller Kämpfe, getragen von Leidenschaft, Kunst und
den Begegnungen mit unzähligen Künstler*innen.

In
Udine, Italien, geboren, emigriert sie als 17jährige nach Amerika,
lernt dort ihren künftigen Ehemann, den Maler und Dichter Roubaix de
l’Abrie Richey kennen, der
jedoch schon einige Jahre später stirbt.
Zu den
vielen Künstlerkontakten vor Ort gehört auch Edward Weston; mit ihm
geht sie 1923 nach Mexiko. Weston wird Tina Modottis Lehrer und
Geliebter. Die Fotografin entwickelt ihre eigene Bildsprache,
beginnend mit Fotografien von Detailaufnahmen und Blumen. Aufgrund
ihres politisch- aktivistischen Engagements sind es jedoch bald
andere Motive, die sie bevorzugt: Bilder von protestierenden
Arbeitern, Bauern und Frauen. So
entstand dann eines ihrer bekanntesten Fotos, das der Fahnenträgerin
(http://www.irmielin.org/nothere/tina-modotti/).
Diese Fotografie ist sehr sachlich, streng komponiert und eines
meiner Lieblingsbilder. Tina Modotti hat das Foto der Fahnenträgerin
lange vorausgeplant, denn vor dem Fotografieren kam das Denken. Ihre
Bilder sollten fesseln durch das, was sie waren und nicht durch das,
was sie darstellten. Daraufhin habe ich mich für mein heutiges
Titelbild entschieden. Es entstand 2016 auf dem CSD Berlin –
weniger streng als Tinas und teilweise mehr ein Zufallsprodukt.

Meine
Frage an Tina Modotti was ein gutes Foto ausmacht, beantwortet sie
mir sofort.

Ich
betrachte mich als Fotografin, mehr nicht, und wenn sich meine
Fotografien von dem unterscheiden, was allgemein auf diesem Gebiet
gemacht wird, so deshalb, weil ich eben gerade versuche, nicht Kunst
zu produzieren, sondern ehrliche Fotografien, ohne Tricks oder
Manipulationen, während die Mehrheit der
Fotografen
noch immer nach künstlerischen Effekten oder nach der Imitation
anderer bildnerischer Darstellungsweisen sucht, woraus ein
zwitterähnliches Produkt entsteht. Es geht auch nicht darum, ob die
Fotografie Kunst ist oder nicht; worum es geht, ist – zwischen
guter und schlechter Fotografie zu unterscheiden. Unter guter muss
man jene verstehen, die alle der fotografischen Technik innewohnenden
Grenzen akzeptiert und alle Möglichkeiten und Mittel nutzt, die das
Medium bietet.

Geht
es ihr um einen rein sachlichen Ausdruck? Geht es ihr überhaupt um
den Ausdruck, die Aura, wie sie Walter Benjamin in seinem Aufsatz
„Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“
beschreibt? Tina Modotti reduziert ihre Fotografien auf eine rein
sachliche Aussage – losgelöst von einem künstlerischen Gedanken.
Jedoch finde ich, gerade dadurch werden die Fotografien von Tina
Modotti zu etwas sehr Persönlichem – zu ihrer Welt, wie Tina sie
sieht.

Die
Fotografin wirkt auf mich als eine herausragende Frau, mit viel
Leidenschaft und Tiefsinn und nicht zuletzt immer darauf bedacht sich
für Menschen – dabei immer ihr Ziel im Blick - einzusetzen und
einer gewissen Forderung nach mehr Bildung. Was mir am meisten bei
den Fotografien von Tina Modotti auffällt, ist ein Erzählen von
Innen – ein Mexiko das nicht von einer Außenstehenden betrachtet
wird. Auch wenn die Fotografin davon spricht alles künstlerische
wegzulassen, wird es zu etwas ganz Eigenem und eben gerade keine rein
technische Fotografie. Auf meine Frage was denn für Tina Modotti die
Fotografie bedeutet, antwortet sie:

Allein
deshalb, weil sie nur in der Gegenwart und auf der Grundlage dessen,
was objektiv vor der Kamera existiert, hergestellt werden kann, ist
die Fotografie das befriedigendste Mittel, um das objektive Leben in
allen seinen Erscheinungsformen zu registrieren, daher ihr
dokumentarischer Wert. Und wenn dazu noch Sensibilität und
Sachkenntnis kommen und vor allem eine klare Orientierung
hinsichtlich ihrer Stellung innerhalb der historischen Entwicklung,
dann ist das Ergebnis, wie ich glaube, würdig, einen Platz in der
gesellschaftlichen Produktion einzunehmen, zu der wir alle einen
Beitrag zu leisten haben.

Tina
Modotti stirbt am 5. Januar 1942 ganz überraschend in einem Taxi in
Mexiko Stadt. Ihr Leben und Schaffen ist so gefüllt mit Menschen,
Künstlern und Politik, dass ich es nicht auf so gekürzte Weise
wiedergeben kann. Es lohnt sich aber allemal einen Blick – ob kurz
oder lang – auf diese Fotografin zu werfen.

Paul
Neruda (1904 – 1973), ein chilenischer Dichter, Schriftsteller und
guter Freund von Tina Modotti,trägt ein Gedicht für Tina an ihrem
Grab vor. Die letzte Strophe zeigt einmal mehr die Faszination Tina
Modotti. Die Worte Nerudas werden heute auch meine letzten Worte
sein:

Die
neue Rose gehört dir, die neue Erde gehört dir:

du
hast dir ein neues Kleid angelegt

aus
tiefem Samen,

und
dein sanftes Schweigen füllt sich mit Wurzeln.

Du
wirst nicht vergebens schlafen, Schwester.


Danke!


Literatur:


Poniatowska, Elena:
Tina Modotti. Ein Lebensroman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main,
1996.


Friedewald,
Boris: Meisterinnen des Lichts. Große Fotografinnen aus zwei
Jahrhunderten. Prestel Verlag, München, London, New York, 2014, S.
162-165.


http://www.arbeiterfotografen.de/forum/wbb/index.php/Thread/16-Tina-Modotti-Fotografin-Revolution%C3%A4rin/


http://www.deutschlandradiokultur.de/vor-75-jahren-tod-der-fotografin-und-revolutionaerin-tina.932.de.html?dram:article_id=375585